Einleitung:
2019 wurde ich gebeten, für die Finanzierung eines Wandlitzer Vereines der Friedensbrücke e.V. einen Beitrag zu verfassen, der mein Leben in der DDR beschreibt. Die Erlöse für das Buch sollten direkt den Kriegsopfern im Donbass zugute kommen. Ich stimmte nach einem Moment der Überlegung zu, denn in der Vergangenheit zu graben und meine alten Tagebücher und Aufzeichnungen wieder zu sehen, hat schon einige emotionale Folgen…. alles ist ja mittlerweile teils über 40 Jahre her zum Zeitpunkt der Aufzeichnungen…
Alle Abschnitte sind entsprechend kurz gehalten, um den Lesefluss nicht allzu lang erscheinen zu lassen. Einige Passagen habe ich im Zuge des Blogs hier noch hinzu gefügt und redigiert.
Ein allgemeines Lektorat fand nicht statt. Daher vorab ein großes Sorry!
Diese Arbeit wurde dann von Frau McClean schon in der ersten Auswahlphase abgelehnt, da sie erstens zuviele Bilder enthielt und zweitens ihren grundsätzlichen Anforderungen an einen Fließtext nicht genügte. Nun gut. Drei Monate Arbeit sollen aber nicht so ganz umsonst gewesen sein, daher hinterlasse ich sie hier auf meiner Blogseite in Abschnitten sortiert. Im Spendenbereich bitte ich natürlich weiter um eine Zuwendung für die Friedensbrücke, so, wie es Andrea Drescher bei meiner Zustimmung dazu eingangs andachte.
Mir ist bewusst, dass manchem die Zeilen so nicht immer gefallen oder sie einer be.-und verurteilenden Bewertung anheim fallen, welche Außenstehenden gestattet sein mögen. An alles kann ich mich auch nicht mehr erinnern. Aber es war ja auch nur mein Leben… Wenns halt zu langweilig wird…
Andreas Hobuß war der Arbeitsgruppenleiter und künftiger 1. Kreissekretär …
Auszug aus dem Tagebuch:
„…und damit ihr es wisst…, dass hier verlässt niemals diesen Raum…ihr seid etwas Besseres…ihr seid die Avantage…man ist nicht Kumpel oder Freund mit Leuten unterhalb der Kreisebene…benehmt euch gefälligst auch so.“

Als junger FDJ-Funktionär war an diesem Tag der Sekretariatssitzung erstmalig ein tiefes Widerspruchgefühl gewachsen. Nicht etwa gegen den „bösen Klassenfeind“, sondern im Angesicht des vermeintlichen „Freundes“, der sich verbittet Freund zu sein und sich auf einen Sockel kolportierte. Dem Echo meines Widerspruchs war ich allerdings in der Folge meiner Funktionärszeit, sicher aufgrund meiner jugendlichen Naivität, nicht gewachsen.
Von 1986-1988 „spielte“ ich dieses Spiel im Berliner Bezirk Hellersdorf, einem gerade gegründeten neuen Verwaltungsbezirk, als 21jähriger 2. Sekretär der Kreisleitung natürlich folgsam mit. Es war eine Zeit, geprägt durch das Wohnungsbauprogramm der Partei, bis 1990 Hunderttausende Wohnungen zu bauen und die Wohnungsfrage als soziale Frage zu lösen. Es war quasi ein gewisses Gründergefühl, dem alles untergeordnet schien. Und das war auch in Ordnung.
Spannend. Kribbelnd jeder neue Tag. Zunächst…
Eine Ebene weiter aber war es schon routinierter. Noch eine Ebene weiter nur noch ein Absatz im Rechenschaftsbericht. Die Entfernung von der Basis, dem einfachen Menschen, begann mit der ersten horizontalen Spaltungsschicht. Mein Ansatzpunkt eines ehrlichen „Berufsrevolutionärs“ (wie wir uns ja auch mittels einer Berufungsurkunde zu nennen hatten) war aber genau anders herum, quasi anarchisch, wie ich es heute definiere. Die direkte Linie: Nichtmitglied, Mitglied, Grundorganisation, Kreissekretär empfand ich als Hauptader des Arbeitens. Der Rücklauf ebenso barrierefrei. Ohne Geheimnisse, Lügen, Hintergedanken.
Andererseits prallten deswegen aber auch die Frustrationen der Jugend voll auf mich. Filterlose Umgebungen lassen eben alles heran.
Die Lethargie und der sehnsüchtige Blick in die anders riechende, bunte Welt des Klassenfeindes. Mein damals sicher einfältiger Lösungsansatz: „Mehr Farbe“… „Hört zu“… „Vertraut den Menschen, lasst sie reisen, damit sie sehen, wie gut es ihnen wirklich geht“ etc. pp ließen nach und nach die Daumen zu meiner Person in der dortigen SED – Kreisleitung nach unten drehen. Es begannen Intrigen, Hinweise auf Besprechungen und „UnterderHandInfos“ anderer Kreissekretäre nahmen zu. Denunziationen über die Pädagogen-Schiene vermittelt sägten unmittelbar an den jungen Stühlen. Durch die Blume gesprochen und im „Vertrauen“ nahegelegt, dass ein eigener Abtritt immer besser sei, als gegangen zu werden… hinterließen natürlich auch Spuren bei mir. Menschen, die an den entscheidenen Stellen meinen Rücken stärkten oder Fürsprecher per se gab es keine. Kadavergehorsam gab es dafür immer und zu jeder Zeit.
Aber bis zum Termin des Bruches war noch etwas Zeit…
Es folgen:
Auszüge aus meinem Tagebuch und ausgewählte Mitschriften aus Konferenzen, Seminaren, Unterredungen:
12.02.1987
– Sitzung des Demokratischen Blocks (aus allen Parteien im Bezirk)
– „160.000 – 170.000 Mark kostet (inkl. Straßen etc.) brutto eine Wohnung in der DDR.“
14.02.1987
Mitschrift des Referates auf der 1. Kreisdelegiertenkonferenz der Kreisleitung in Berlin Hellersdorf:
– „Wer sich gegen den Kommunismus stellt ist kein Andersdenkender, sondern ein Nichtdenkender oder nur ein an sich denkender.“ (Soviel zur abgrundtiefen Abneigung gegenüber Kritikern. Wer wollte dem schon widersprechen?)
16.02.1987
Helmut Müller (2. Sekretär der SED-Bezirksleitung Berlin) zu Fragen der Sowjetunion:
– „…Weiter gilt: Von der Sowjetunion lernen heißt siegen lernen. Es wäre aber Arroganz zu sagen, von der DDR zu lernen hieße siegen lernen, obwohl es nicht vermessen wäre zu sagen, dass es lernenswertes gibt. … So schickte Michael Gorbatschow nach seinem Parteitagsbesuch hier neun Generaldirektoren zu uns, um sich was abzugucken.“
14.03.1987
Bezirksdelegiertenkonferenz der FDJ Berlin:
– Auf den Konferenzen wurde natürlich viel allgemeines geredet, aber das Zuhören geübter Geister hatte zwischen den Zeilen einiges zu bieten:
– „Die Natur braucht uns nicht, aber wir brauchen die Natur – Das ist falsch! Die Natur braucht den Menschen zum Überleben mehr denn je und der Mensch die Natur.“
– „Die größte Aufgabe des Sozialismus heute ist es, die Menschheit von Selbstvernichtung und Selbstzerstörung zu bewahren.“ (Hier kann man hineininterpretieren, dass der Sozialismus sich lieber selbst opfert, als dass die Menschheit im Ganzen Opfer eines heißen Krieges werden wird. Und genau das waren auch Aussagen bei Beratungen 1989.)
– Zur 750 Jahrfeier in Westberlin: „Lasst uns Feste feiern und feste in die Taschen der Bürger greifen… Wir hier im Sozialismus haben ein Recht auf unseren Stolz.“
– „Unsere Politik ist nicht die Politik der Aussteiger und Ausweglosen, sondern sie verlangt Einstieg.“
– „In Berlin haben 770.000 Bürger seit 1971 (Beginn des Wohnungsbauprogramms) eine bessere Wohnung bekommen. Dazu gesellten sich u.a. 11.000 Jugendclubplätze und 64.000 Gaststättenplätze.“ (Das Programm lief 1989 letztlich 18 Jahre. Es hatte zum Ziel, die Wohnungsfrage als SOZIALE (!) Frage zu lösen. Und das wurde zu 95% vor dem Ende der DDR geschafft. Mit dem „Anschluss“ änderte sich allerdings alles wieder. Die Wohnungsfrage wurde wieder zum sozialen Brennpunkt und ist es heute mehr denn je. Trotz eines Überangebotes.)

– „Der Bau der U-Bahnlinie auf der Strecke Tierpark-Hönow (10,5 km) soll bis 1990 fertig gestellt werden.“
– Jochen Vogel (Vorsitzender der SPD) sagte kürzlich: „Die Jugend Berlins ist die bestinformierteste Jugend der Welt!“
16.11.1987
Sekretariat der FDJ-Kreisleitung Berlin Hellersdorf
– „Die Funktionäre in der Sowjetunion sind einem hohen Erwartungsdruck durch die Bevölkerung ausgesetzt. Gesucht werden neue Führungsformen der Wirtschaft. …
– Jelzin war Verfechter der Politik des XXVII. Parteitages, hatte aber falsche Führungsmethoden. Die Diskussion des Moskauer Stadtparteikommitees wurde um fünf Stunden, nach der Jelzin-Rede, verlängert. 27 Redner beschäftigten sich dann mit Jelzin.“ (Auch Jelzin verschwand zunächst und wurde dann wieder als Hoffnungsträger rekrutiert. Das Ergebnis: Er zerstörte ab 1991 die UdSSR und setzte das Land den Heuschrecken des Kapitals aus.)
November 1987 – Mitschriften von Foren in der Bezirksjugendschule:
– „Wenn gleich nach der Oktoberrevolution 1917 mehr Länder bei einer Revolution gesiegt hätten, wäre heute das Verhältnis Krieg-Frieden nicht so brennend.“
„Schon Adenauer sagte, dass die DDR die „billigste Universität der Welt“ sei. 3.000.000 sind bis 1970 ausgereist. Bis 1961 entstand ein Schaden von 100 Mrd. Mark!“ (Anmerkung J.K.: Thomas Brasch hatte im übrigen nach seiner Ausreise in den Westen die Unverfrorenheit, im Beisein von Franz Josef Strauss öffentlich bei der Verleihung des Bayerischen Filmpreises an ihn, der DDR und seinen Ausbildern ausdrücklich zu danken. Ein Eklat. Aber nur für diejenigen, die nicht angesprochen wurden.)
– „Bei uns machen wenige vieles und viele nichts.“
– „SAT1 verblödet, aber unser Fernsehen reißt uns auch nicht vom Hocker.“
– „Das FDJ-Aktiv muss aktiv sein und nicht nur so heißen.“ (Wolfgang Herger)

04.12.1987:
Sekretariatssitzung SED-Kreisleitung in Vertretung des 1.Sekretärs der FDJ-Kreisleitung Hellersdorf:
Mitschriften:
Zur Oppositionsbewegung:
– Der Staat wünscht keine Zuspitzung der Zionskirchproblematik.
– Der Grad der Organisiertheit nimmt weiter zu.
– Nach Festnahmen können die Leute aus der DDR zum „Marsch auf Berlin“ binnen weniger Stunden aufbrechen.
– 04.12.1987 Vollversammlung in Zionskirche zur Strategie und Taktik.
– 08.12.1987 Gottesdienst „Einstieg in den Ausstieg“ in Mitte.
Weitere Themen:
– Wir werden keine gesellschaftlichen Aktivitäten aufwenden, um die (Fernseh-)Antennen auf SAT1 umzurüsten.
– Der DDR-Schriftstellerkonkress ist erstmals kritisch. Zu Prof. Jürgen Kuczynski wurde bemerkt: „der Mann muss ins ZK“.
– 03.12.1987 Protestversammlung im WBA 302 wegen dem Bau eines Heizwerkes – Regelung.
– 33 ungesetzliche Grenzübertritte wurden in Hellersdorf amnestiert.
– Gewinnung von Volkspolizisten und ein Argument, das zunehmend dagegen angeführt wird: „Wenn ich zur VP gehe, kann ich nicht mögliche Chancen zur Reise ins westliche Ausland wahrnehmen“.
– Erklärung eines Lehrers zu seinem Antrag auf eine Reise ins Nichtsozialistische Wirtschaftssystem (NSW): „Ich bin Lehrer mit staatsbürgerlicher Haltung und werde zurückkommen. Ich fühle mich ja bei einer Absage wie ein Mensch II. Klasse.“
Mitschrift bei der Sekretariatssitzung der Kreisleitung der SED am 27.11.1987:
– Manipulierte Programmauslagen zur Eintrittsverschaffung in Jugendclubs…
– Auftrittsverbote: Thomas Werner (freischaffender Regisseur), Jürgen Höpfner (Schriftsteller), Ulrich Plenzdorf (Buchlesungen ‚Freiheitsberaubung‘), Stephan Kraftczyk (Liedermacher).
– Zur Zeit Auftritte der Punk-Hardrock-Gruppe „Die Anderen“ – Beobachtungen: „Haare abschneidend und verbrennend im Ascher, … Äußerung: „Wir heben die Gaststätte ‚Plänterwald‘ aus und die ‚Stube‘ (Jugendclub in Hellersdorf) ist auch mal dran.“

30.11.1987:
– „Uns kostet jede Erhöhung der Aufwendungen für Einkäufe zu angepassten Weltmarktpreisen, Reisetätigkeiten, Erdöl usw. jährlich 25 Milliarden Mark. Es folgt letztendlich eine Einschränkung in der Volkswirtschaft.“
– Volker Voigt (2.Sekretär des Zentralrates der FDJ) zur Manifestation der Jugend auf dem Leninplatz:
– „Die Manifestation bot nur Schein, da kein Jugendlicher motiviert, stimuliert etc. wurde, sondern nur nach außen hin wirkte… also wie Scheinabrechnungen!“
Fortsetzung folgt